Der Streit begann schon einige Jahre davor, als die ganze Welt begonnen hatte, sich immer mehr auf den nahenden Jahrestag zu fokussieren. Der Ausgang war eigentlich abzusehen. Republika Srpska und Serbien haben rechtzeitig für eine Ausweichmöglichkeit gesorgt – und die heißt Visegrad.
Visegrad, ein Städtchen am Fluss Drina in der Republika Srpska, der serbischen Entität Bosnien und Herzegowinas. Das Symbol der Stadt, die vom Großwesir der Osmanen, Mehmed Pascha Sokolovic im 16. Jahrhundert erbaute Steinbrücke, blieb dieses Mal im Schatten eines einige hundert Meter entfernten Neubaus – der vom provokanten Filmemacher Emir Kusturica erbauten Museumsstadt „Andricgrad“. Wie der Name schon andeutet, wurde sie dem größten jugoslawischen (serbischen?) Schriftsteller Ivo Andric gewidmet, der den auf der UNESCO-Liste des Weltkulturerbes stehenden Bau in seinem nobelpreisgekrönten Werk „Die Brücke über die Drina“ weltbekannt gemacht hat. Kusturicas Projekt wurde nicht nur durch die Regierung der Republika Srpska kräftig finanziell unterstützt, auch die benachbarte Republik Serbien beteiligt sich daran.
Andricgrad, dessen Bau symbolträchtig am 28. Juni, dem größten serbischen Feiertag „Vidovdan“ (St. Veitstag) vor drei Jahren begonnen wurde, sollte bis zum 100. Jahrestag des Attentats von Gavrilo Princip fertig sein. Und die Frist wurde, was bei größeren Projekten in Bosnien oder Serbien eher selten ist, auch eingehalten. Denn es galt, „Vidovdan“ und Princip zu gedenken sowie die offizielle Eröffnung von Andricgrad zu feiern.
Der Streit, Debatten und Neuinterpretationen der Tat vom 28. Juni 1914 sowie der Rolle Serbiens beim Ausbruch des Großen Krieges ließen aus Visegrad und Andricgrad allerdings mehr eine „Principstadt“ werden. Die Republika Srpska und Serbien sahen sich 100 Jahre danach gezwungen, ihre Stimme gegen die Versuche des „Geschichtsrevisionismus“ zu erheben: Für die überwältigende Mehrheit der Serben ist Gavrilo Princip ein Kämpfer gegen die „Versklavung“ bzw. Okkupation seines Volkes und seines Landes und ein junger Idealist, der die Vereinigung aller Südslawen in einem Staat anstrebte.
Unter diesen Vorzeichen fanden auch die meisten Veranstaltungen in Andricgrad statt. Die Bedeutung des gestrigen Tages für Serben unterstrich nicht nur die Anwesenheit ihrer wichtigsten politischen Vertreter aus beiden Ländern, sondern auch ihres kirchlichen Oberhaupts, des Patriarchen der Serbisch-orthodoxen Kirche, Irinej.