ARD-Mitarbeiter Stjepan Milcic hat eine provozierende Ausstellung besucht und gräbt in seinen Erinnerungen…
Jugoslawien 1983, 23.April: ein paar Freunde und ich sind an diesem Abend in einem Jugend-Club in Zagreb (Kroatien). Auf der Bühne stehen vier Männer im Soldaten-Outfit, die an Naziunformen erinnern und ziehen ihre Show ab: militanter Look mit entsprechender Musik und Texten. Die Band kommt aus Ljubljana (Slowenien) und nennt sich „Laibach“ (deutscher Name für die slowenische Hauptstadt). Ebenso ungewöhnlich für eine Popband ist die Sprache, in der sie singen: es ist weder slowenisch (ihre Muttersprache), noch serbo-kroatisch (was alle im damaligen Jugoslawien verstehen), noch englisch (die übliche Rock’n’Roll-Sprache), sondern deutsch. Auf der Leinwand hinter ihnen läuft ein kommunistischer Propagandafilm „Die Revolution geht weiter“ oder so ähnlich und darüber werden Szenen aus einem Hardcore-Porno eingeblendet. Als über dem Gesicht des drei Jahre zuvor verstorbenen jugoslawischen Präsidenten Josip Broz Tito ein Penis erscheint, wird es den Ordnungshütern endgültig zu viel. Das Konzert wird trotz heftiger Proteste der Akteure und des Publikums abrupt unterbrochen. Die Polizei schreibt alle Anwesenden ordentlich auf. So auch mich, aber ich bekam nie eine Vorladung zum Verhör und so werde ich heute nicht zu den Opfern des Kommunismus gezählt. „Laibach“ werden Auftritte in Jugoslawien zwar nicht verboten, aber alle offiziellen Institutionen, Politiker und Medien in Slowenien und Restjugoslawien verurteilen diese „beispielslose Provokation“ aufs Schärfste. Die Folge: im ganzen Land hat niemand mehr den Mut, einen „Laibach“-Auftritt zu organisieren, oder ihre Schallplatten zu verlegen. Das verhilft ihnen andererseits zu einer unerwarteten internationalen Karriere und Kultstatus in Europa und den USA.
Gut dreißig Jahre später bin ich in Ljubljana. Die slowenische Kultusministerin eröffnet die Ausstellung „Neue Slowenische Kunst – das Ereignis des letzten jugoslawischen Jahrzehnts“ und stellt die Bedeutung der Neuen Slowenischen Kunst (NSK) für die Demokratisierung des damaligen Staates und für das Ansehen Sloweniens in der Welt hervor. Die Band „Laibach“ war in den 80-er Jahren ein Teil der großen kulturpolitischen Bewegung in Slowenien, die sich „Neue Slowenische Kunst“ (NSK) nannte. Hinterfragung der slowenischen und jugoslawischen sozialistischen Wirklichkeit, der wachsenden Nationalismen, Grenzen der Kultur, aber auch kritische Einstellung zum Kapitalismus haben junge slowenische Musiker, Maler, Performer, Theaterleute und Philosophen vereint. Widerstand, Provokation und ironisches Spiel mit „heiligen“ Symbolen der Totalitarismen waren ihre Werkzeuge und Waffen.

Dragan Zivadinov, einer der Gründer der NSK, vertritt Slowenien heute auf internationalen Schaubühnen, wie der Biennale in Venedig. Doch provozieren will er immer noch. Mit seinem Lebensprojekt, dem „kosmokynetischen Theater Noordung“, veranstaltet er Aufführungen in Schwerelosigkeit und mit der Kultur will er das Weltall kolonisieren, was die letzte Stufe der totalen Kunst sein soll. „Anfang der 80-er Jahre des vergangenen Jahrhunderts regierte in Jugoslawien die Avantgarde (der Arbeiterklasse), die offiziell alle Macht hatte, in der Politik sowie in der Kultur. Von daher war es völlig natürlich, dass wir die Retroavantgarde, also das Retroprinzip eingeführt haben, was eine Alternative zur offiziellen Kulturpolitik darstellte“, erinnert er sich.
Die Retroavantgarde war das Grundprinzip der NSK, und die Gleichstellung von Kunst und Politik, Überidentifizierung und andere schwer verständliche Begriffe sollten ein Gesamtkunstwerk bilden. Die deutsche Bezeichnung der NSK sowie deutsche Sprache haben viel weniger mit einem slowenischen Trauma wegen jahrhundertelangen Versuchen der Germanisierung der Slowenen zu tun, oder gar mit Nazis oder Nazikunst, als vielmehr mit den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts, als in Berlin eine ganze Nummer der avantgardistischen Zeitschrift „Der Sturm“ der jungen slowenischen Kunst gewidmet war. Genau das inspirierte laut Zivadinov die NSK-Gründer.
Das Verwirrspiel mit Sprache, Symbolen, Uniformen, die gar nicht Naziuniformen waren, sondern die der jugoslawischen Armee, mag für viele im damaligen Jugoslawien, aber auch in Europa provokativ gewesen sein, aber das waren alles Zitate. NSK-Künstler haben auf diversen Plakaten und auf Bildern der alten Meister, auf Uniformen, in der Musik, im Theater oft nur Symbole ausgetauscht, z.B. Hakenkreuz oder Malewitschkreuz statt roten Sterns, oder Hammer und Sichel. Wer da ein Gleichheitszeichen zwischen verschiedenen Totalitarismen sah, lag sicher nicht falsch oder hatte selber was damit zu tun!?
Und die heutige Provokation? Laut NSK sind Nazifaschismus, Kommunismus, Kapital, Konsum, alles dasselbe: Totalitarismen! Und damit ist die totale Kunst offensichtlich im Supermarkt angekommen?!
Die Ausstellung „Neue Slowenische Kunst“ kann man in der „Moderna Galerija – Museum der zeitgenössischen Kunst“ in Ljubljana bis zum 16.08. besichtigen.
Laibach, Geburt einer Nation, 1987 (Queen cover „One Vision“)
https://www.youtube.com/watch?v=ZZAD7W3M4zc
Laibach, Tanz mit Laibach, 2003 (frei nach D.A.F., „der Mussolini“)
https://www.youtube.com/watch?v=Glu9wA4HjE0






Gibt es einen „Katalog“ der NSK-Kunstwerke/ Standorte/ Museen in Ljubljana und Umgebung? Würde mir gerne ein Bild machen.