„Bitte setzen Sie sich, wenn Sie möchten. Leider kann ich Ihnen keinen bequemeren Platz anbieten“ sagt der Mann höflich und zeigt auf die Schlafsäcke auf dem Feld. Ahmad, gekleidet mit einem grauen Sakko und grünem T-Shirt, ist mit seiner Frau und zwei Kindern aus Afghanistan gekommen. „In meiner Heimat war ich Staatsanwalt”, erzählt er in fließendem Englisch. „Darum wurde ich täglich von den Taliban bedroht. „ Die ständige Bedrohung, das habe er nicht mehr gewollt. Für seine Kinder will er eine sichere Zukunft.
Seit einigen Wochen ist die Familie unterwegs. „Ich möchte arbeiten, egal was” , sagt der Vater. Auch die anderen Flüchtlinge um uns herum kommen aus Afghanistan. Sie alle wollen in den Westen. Arbeiten. Mehrere Dutzend Flüchtlinge leben in der verlassenen Ziegelfabrik am Stadtrand von Subotica im Norden Serbiens. Schon von weitem sieht man den hohen Schornstein. Vor einigen Jahren wurden hier noch Ziegelsteine produziert. Jetzt gibt es hier nur noch eins: Vage Hoffnungen. Es gibt keinen Strom, kein Leitungswasser, lediglich einen Brunnen. Dort waschen sich die Flüchtlinge, und wenn jemand kein Geld für Mineralwasser hat, muss er aus dem Brunnen trinken. Überall liegt Müll herum, es ist dreckig. Und die Leute warten: Auf Tipps oder auf Schlepper. Ihre Reiseroute ist klar: Ungarn, dann weiter nach Westen – nach Deutschland, Österreich oder England.
„Als Kind habe ich schöne Geschichten über Deutschland gehört”, erklärt Adschmir sein Reise- Ziel. Er glaubt, dass er dort willkommen ist. „In Kabul war ich Journalist, wie Sie. Ich habe Sport gemacht, Kick- Boxen. Aber ich wurde mehrfach bedroht. Ich wollte einfach weg”, sagt der 25 Jährige. Er will studieren, wieder Sport machen, erklärt er. „Ich denke, das wäre in Deutschland möglich.” Seit zwei Monaten ist Adschmir unterwegs.
Der Weg ist gefährlich. Unter seinen Kameraden im illegalen Kamp gibt es auch Flüchtlinge, die es schon einmal über die nahe Grenze nach Ungarn geschafft haben. „Die Polizei hat uns aber erwischt und zurückgeschickt“ , berichtet ein 20-Jähriger. „Sie haben uns als Taliban beschimpft. Das ist unverschämt“, schimpft er. „Wir sind von Taliban bedroht worden, sind vor ihnen geflohen – und sie nennen uns Taliban“.
„Hallo Jungs, wie geht es euch?”, ruft plötzlich ein Mann in den 50ern mit Mütze. Es ist Tibor Varga, der Pfarrer. „Ich komme fast täglich hierhin, um den Flüchtlingen zu helfen”, sagt er. Seit vier Jahren schon macht er das, ehrenamtlich. Er bringt ihnen Essen und Wasser, manchmal auch Kleidung, vor allem Schuhe. „Sie kennen mich schon, den verrückten Pfarrer”, lacht er. Sein Kombi ist voller Brot, Backwaren und Wasser. „Es wäre gut wenn die Menschen nur eine Flasche Wasser, oder ein Stück Brötchen spenden würden“, klagt er. „Aber vielen sind die Flüchtlinge gleichgültig”, seufzt er. Der Pfarrer kennt den Schlafplatz, wo die Leute im Gebüsch übernachten. Man muss nur den Spuren folgen. Im Schatten schlafen oder dösen die Menschen. Einige gehen weg, als sie das Mikrofon sehen, anderen kommen und erzählen bereitwillig. „Ich war sechs Jahre in London. Illegal. Die Polizei hat mich gefasst, und weggebracht. Ich möchte zurück”, erzählt ein junger Mann. Seinen Namen will er lieber nicht verraten. „Meine Familie wohnt in Afghanistan“, sagt er. „Ich habe Angst, dass ihnen etwas passiert.”
Es gibt nur wenige, die sich wie Pfarrer Tibor Varga um die Illegalen kümmern. Etwa Fabiola Gasperini. „Einmal pro Woche komme ich her, um den Menschen zu helfen“, erzählt die 40-Jährige. Die Belgraderin mit italienischem Vater arbeitet für „Ärzte ohne Grenzen“. „Es ist nicht einfach, mit Hilfe eines Dolmetschers mit den Patienten zu kommunizieren”, sagt sie. Die Flucht mache die Menschen krank: Sie hätten Verdauungsprobleme, weil sie ständig die Kost wechseln und hungern müssen. Gelenkschmerzen, weil sie „wahnsinnig viel laufen“, erzählt die Medizinerin, während sie durch das Gebüsch streift. „Es ist traurig, was diese Menschen erlebt haben“, sagt sie. Meist stammen sie aus Bürgerkriegsgebieten, Irak, Syrien, Afghanistan. Und auch die Polizei schlägt sie, berichtet ein Flüchtling.
Als EU-Bürger kann ich problemlos über die serbisch–ungarische Grenze gehen. Bei Ásotthalom gibt es keinen Stau. Hier dürfen nur Bürger der Europäischen Union und Serben die Grenze überqueren. Die Grenzpolizisten sprechen über die Pläne des ungarischen Ministerpräsidenten: Er will einen vier Meter hohen Zaun entlang der serbischen Grenze errichten. „Sicher wird jemand vom Bau profitieren“, meint einer der Grenzer, „und ein anderer vom Abreißen“.
Der Bürgermeister von Ásotthalom, László Toroczkai meint, dass der Zaun nicht alle Probleme lösen kann, aber dennoch hilfreich sein wird. „Wegen der Flüchtlinge kann unser Dorf sich nicht entwickeln“, behauptet das Stadtoberhaupt. „Touristen kommen ungern, Investoren auch”, sagt der rechtsextreme Politiker. „Für uns sind die Flüchtlinge ein Riesenproblem“. Sie hinterließen sehr viel Dreck. „Wir müssen extra Leute für das Aufräumen bezahlen.“ Die 4000 Dorfbewohner fühlten sich unwohl, sie hätten Angst. „Vielen wohnen in Ackerhöfen, alleine”, sagt der Politiker. Wie der ungarische Premier Orbán glaubt auch der Bürgermeister, dass alle Migranten, die nach Südungarn kommen, Wirtschaftsflüchtlinge sind. „Wenn sie Serbien durchqueren, könnten sie gleich dort bleiben“, findet er. Denn dort sei ihr Leben ja nicht mehr in Gefahr. Oder in Mazedonien, Griechenland, der Türkei oder Bulgarien. „Sie wollen nur ein besseres Leben – und deshalb weiter nach Westen gehen” , sagt Toroczkai. Er beschäftigt drei Feldhüter, eine Art Mini-Bürgerwehr. Sie soll der Polizei beim Abfangen der Flüchtlinge helfen.
Einer der drei ist Zoltán Sáringer. Er patrouilliert mit einem alten Lada Niva. Er sucht die Spuren der Flüchtlinge. „Sie möchten die Landstraße nach Baja erreichen, dort warten die Schlepper auf sie, und die bringen sie weiter nach Westen” , erzählt er. Sein Kollege Vince Szalma sagt, sie hätten viel zu tun. „Die Flüchtlinge kommen hier bei uns über die Grenze, weil es Wald gibt. Auf den Wiesen können sie sich nicht verstecken”, erklärt er. Die Polizei habe an der Grenze viel zu tun. Täglich erwischten sie Hunderte Flüchtlinge. Sie müssten manchmal Busse mieten, um die Menschen zu transportieren.
Einige hunderte Meter weiter, neben der Landstraße steht ein Polizei-LKW. Im Schatten des Lastwagens sitzt eine kleine Gruppe Flüchtlinge. „Wir haben sie erwischt. Wir wissen nicht, woher sie kommen“, sagt eine Polizistin. „Wir sprechen kein Englisch”. Sie wartet auf ihre Kollegen, um die Flüchtlinge zu einem Sammelpunkt zu bringen. Die Festgenommenen sind müde, wissen nicht, was mit ihnen geschehen wird. „Wir kommen aus Pakistan”, sagt ein Mann in schlechtem Englisch. „Bei uns gibt es keine Arbeit, keinen Strom. Meine Familie hat nichts zu essen. Ich möchte in Europa arbeiten, um meiner Familie helfen zu können” , sagt er und dann zeigt er auf seine löchrigen Schuhe. „Wir sind jetzt schon drei Monate unterwegs. Es ist mein drittes Paar Schuhe”. Ein Minibus kommt, bringt die Flüchtlinge weg. Am Nachmittag treffe ich den Feldhüter, er ist wieder im Einsatz. „Eine Gruppe haben wir gefunden, sagt Zoltán Sáringer. „Einige haben wir festgenommen, die anderen sind irgendwo in dem Wald”, sagt er und zeigt auf ein Waldstück. Eine halbe Stunde später haben die Polizisten die Gruppe gefunden: Erschrockene Mütter, weinende Kinder, Väter mit Angst in den Augen.
Mitarbeit: Attila Poth












