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3. November 2015

Hoffnungslos hinter ungarischen Gittern

In Ungarn sorgen Schnellgerichte für die rasche Aburteilung von Flüchtlingen.(Symbolbild). Foto: picture-alliance/dpa
In Ungarn sorgen Schnellgerichte für die rasche Aburteilung von Flüchtlingen.(Symbolbild). Foto: picture-alliance/dpa

Ein enger Raum, ohne frische Luft: Richter, Staatsanwalt, Rechtsanwalt und eine Sekretärin, die alles notiert. Nur die Angeklagten wechseln ständig. Auf der Bank, neben den Beschuldigten, sitzt immer ein Dolmetscher. Kein qualifizierter Übersetzer,  sondern jemand aus Syrien, Afghanistan oder Iran, der neben seiner Muttersprache mehr oder weniger auch die ungarische Sprache beherrscht. Die Meisten leben seit Jahren in Ungarn. Menschen, die  in ihrer Freizeit der Polizei oder dem Gerichthof durch Übersetzen helfen.  Eine präzise Übersetzung scheint nicht nötig: Der Richter liest das bei der Festnahme abgegebene Geständnis vor, und fragt nur wieder und wieder ob es stimmt.

Alles läuft glatt, aber wegen der Übersetzung ein bisschen langsam. Die traurigen persönlichen Geschichte wiederholen sich, nur die Namen, die Herkunftsländer und die Geburtsorte wechseln. Die verhafteten Flüchtlinge kommen meist aus Syrien, Irak, Afghanistan. „ISIS hat meine Familie getötet“,  „unser Haus wurde durch eine Bombardierung zerstört“, „wir haben täglich gefährliche Drohungen von den Taliban bekommen“ – so die Begründungen, warum sie die Heimat verlassen haben.

Die Prozesse laufen in Szeged. Auch Richter aus Budapest müssen nach Südungarn – es gibt so viele Fälle, dass die lokalen Richter es alleine nicht schaffen. Es werden extra Räume gebraucht, einige Verhandlungen finden in einem Gebäude der Polizei statt. Es ist praktisch: Die Beschuldigten stehen unter Polizeikontrolle. Und das Urteil ? Abschiebung. Es ist sehr selten, dass die Flüchtlinge Einspruch erheben. Verurteilte Menschen sollten zurück nach Serbien. Theoretisch kling es einfach, denn es gibt  ein Rückführungsabkommen zwischen beiden Ländern. Aber in der Praxis funktioniert es nicht.

„Zwischen dem 15. September und dem 15. Oktober hat Serbien  nur 72 Flüchtlinge aus Ungarn zurückgenommen“ – erzählt die Mitvorsitzende des Ungarischen Helsinki Komitee, einer NGO die sich mit Menschenrechten beschäftigt, und auch ein Flüchtlingsprogramm führt. Márta Pardavi meint, dass Belgrad wegen des ungarischen Grenzzauns nur wenige zurück nimmt. „Sie haben früher gesagt, dass sie mit dem Zaunbau nicht einverstanden sind“, erinnerte sich die Juristin. In den letzten Wochen hat sich die Lage ein bisschen verbessert, Serbien nimmt etwa 10 Flüchtlinge pro Tag aus Ungarn zurück. Warum ist es dies so wichtig? „Weil die verurteilten Flüchtlinge solange in Haft bei der Fremdenpolizei bleiben bis Serbien sie nimmt“, erklärt Pardavi. „Die Familien sind getrennt. Wir haben von Fällen gehört, wo die Frau in einer Fremdenpolizei-Unterkunft  ist, der Mann im Gefängnis, und das minderjährige Kind in einem ungarischen Kinderheim ist“ – erzählt die Juristin.

Ende Oktober gab es etwa 800 Inhaftierte, ohne zu wissen wie lange sie hinter Gittern bleiben müssen. „Sie bekommen fast keine Informationen über ihre Abschiebung. Der Informationsmangel ist riesengroß. Und wenn Informationen kommen, dann nur auf Ungarisch“ – erzählt Márta Pardavi über ihre Erfahrungen. Die Juristin sagt, dass sehr viele Minderjährige im Gefängnis sind. „Sie sind Teenager, den Freiheitsentzug ertragen sie nur schwer. Wir haben auch von Selbstmordversuchen gehört“ –fügt sie hinzu. „Es passiert auch sehr oft, dass ein Teil der Familie schon in Deutschland ist, und die anderen warten im Gefängnis auf die Abschiebung aus Ungarn.“ –erklärt Frau Pardavi.

Hilfsorganisationen und freiwillige Helfer waren sehr aktiv im Sommer. Sie haben sich um die Verpflegung der Flüchtlinge gekümmert.  „Sehr viele Flüchtlinge haben nur das bei sich was sie anhaben.  Sie haben keine Winterkleidung. Und in den Gefängnissen kann man ihnen nichts geben – sie sind keine verurteilten Kriminellen, die Sträflingskleidung tragen. Sie müssen in ihren eigenen Sachen bleiben. Aber wenn sie nur eine Hose und ein T-Shirt haben, dann können sie ihre Wäsche auch nicht wechseln “ – erklärt Márta Pardavi. Sie können auch ihre Kleidung nicht waschen: Das geht ohne Wechselsachen und ohne Waschmittel nicht. Das Helsinki Komitee versucht mit Hilfsorganisationen  Kontakt aufzunehmen und gemeinsam den Flüchtlingen zu helfen. Es gibt noch ein weiteres Problem: Wenn jemand krank ist, kriegt er im Gefängnis nicht immer die notwendige Hilfe. „Es gibt einen Gefangenen, der Krebst habt. Er bräuchte dringend intensive Versorgung. Aber die ist in einem Gefängnis einfach nicht möglich“ – so Pardavi vom Helsinki Komitees. Ihre Forderung: Die Flüchtlinge rechtzeitig und intensiv zu informieren. Informationsmangel stresse die Flüchtlinge und mit der Aussichtslosigkeit wächst die Aggression.

Mitarbeit: Attila Poth

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