Google Maps-Vorschau - es werden keine Daten von Google geladen.
„Wir haben Angst“
Ungarische Muslime unter Druck
Die restriktive Flüchtlingspolitik von Ministerpräsident Viktor Orban geht in Ungarn mit einer immer stärker werdenden Fremdenfeindlichkeit einher. Die bewusst geschürte Angst vor Muslimen aus dem Nahen Osten als vermeintliche Terroristen und Islamisten, die angeblich die christliche Kultur des Landes gefährden, setzt auch die in Ungarn lebenden Muslime zunehmend unter Druck. Die Islamische Gemeinschaft in Budapest lebt seit Monaten in Angst und Schrecken. Unser Mitarbeiter Attila Poth hat sie besucht.
Vergitterte Fenster, bröckelnder Putz – von draußen erkennt man gleich, dass die Bewohner des Hauses in sehr einfachen Verhältnissen leben. Das Gebäude steht direkt neben einer Überführung mitten im Großstadtverkehr des 13. Bezirks der ungarischen Hauptstadt. Über der grünen Tür steht: Ungarische Islamische Gemeinschaft. Dahinter beginnt eine ganz andere, den Ungarn unbekannte Welt. Zoltan Bolek, Vorsitzender der Gemeinschaft, wirbelt geschäftig zwischen Kartons und Plastiksäcken umher. „Schade, dass Sie nicht vor eine halbe Stunde gekommen sind! Der Kleintransporter aus Österreich ist vorhin zurückgekehrt. Wir haben Spenden aus Wien bekommen.“
Der niedrig gewachsene Mann wirkt sehr froh angesichts der längst überfälligen Spendenlieferung und zeigt mir stolz die Kisten mit den Hygieneartikeln. „Endlich können wir den Flüchtlingskindern auch Winterklamotten geben. Als die Flüchtlingskrise in Ungarn auf dem Höhepunkt war, haben wir viel geholfen. Wir waren am Keleti Bahnhof, dann an der serbischen Grenze, später an der kroatischen“, erinnert sich der Vorsitzende der Ungarischen Islamischen Gemeinschaft.
Dann bittet Zoltan Bolek mich um ein wenig Geduld. „Gleich beginnt das Nachmittagsgebet.“
Im Gebetsraum kommen nur drei Männer zusammen, alle Mitarbeiter der Gemeinschaft.
„Es ist Werktag und unsere Gläubigen arbeiten“, erklärt Zoltán Bolek entschuldigend.
Auf die Frage hin, wie es denn zur Zeit sei, als Muslim in Ungarn zu leben, reagiert der Vorsitzende voller Traurigkeit: „In Ungarn herrscht Islamophobie. Vor einem Jahr hätte ich Ihnen noch versichert, dass wir keine Probleme haben. Aber jetzt: Die Regierung führt eine schreckliche Propaganda gegen Migranten. Sie setzt Einwanderung mit islamischem Terrorismus gleich. Orbáns Kritik an der Islamophobie war ein reines Lippenbekenntnis, die Menschen haben nur die fremdenfeindlichen Hassreden gehört“, kritisiert Zoltán Bolek. „Und als Bestätigung kam der Terroranschlag in Paris gerade recht“, fährt er fort. „Wir haben Angst. Es ist schwierig geworden in Ungarn Muslim zu sein“, betont er. Ständig gehen bei der Gemeinschaft Drohungen ein – telefonisch, auf Facebook und per E-Mail.
„Was kann die Polizei schon machen, nichts? Auch wenn ein Täter ausfindig gemacht wird, braucht er nur zu sagen, er habe sich einen Scherz erlaubt und ein guter Anwalt holt ihn sofort raus“, berichtet der Vorsitzende der Islamischen Gemeinschaft.
Vor einigen Monaten hat jemand Schweineschmalz auf die Tür geschmiert, die Tat wurde nicht geahndet. Längst aber geht es nicht mehr nur um Sachbeschädigung.
Gerade Frauen, die mit ihrem Kopftuch als Muslima erkannt werden, sind immer öfter Ziel offener Attacken. „Unsere Kollegin wurde in der Straßenbahn von einer Frau mit einem Messer angegriffen, die ihr drohte, ihr die Kehle durchzuschneiden“, erzählt der Vorsitzende.
Zoltán Bolek hat schon oft darüber nachgedacht, mit seiner Familie Ungarn zu verlassen und in der Türkei, Bosnien oder Österreich eine neue Heimat zu suchen. Aber noch will er nicht aufgeben: „Ich bin Ungar! Meine Verwandten leben hier. Ungarn ist meine Heimat und ich bleibe“.