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6. Oktober 2014

Kroatien: Wer will noch über den Krieg reden?

In einer knapp zehn Minuten langen Videoperformance reden zwei junge Künstlerinnen aus Sarajevo eindringlich aufeinander ein und schauen sich dabei tief in die Augen: „Ich will nie mehr über den Krieg reden“, sagen sie. Die Videoarbeit ist eine von etwa hundert Kunstwerken (Videos, Audios, Bildern, Installationen), die derzeit in der vornehmsten Zagreber Kunstgalerie, der „Klovicevi dvori“, gezeigt werden. Zwanzig zeitgenössische Künstler aus Serbien, Kroatien, Bosnien und Slowenien befassen sich mit der jüngsten Vergangenheit. Titel der Ausstellung: „Der Weg nach Europa – Ich will über den Krieg reden“. Kuratiert wurde sie von Mia David, Leiterin des Belgrader Kulturzentrums und Marina Viculin (Klovicevi dvori). Es ist die erste große Ausstellung seit dem Kriegsende 1995, bei der zwei staatliche Kulturinstitutionen zusammenarbeiten, betonen die beiden, zu groß waren vorher die gegenseitigen Vorbehalte und das Misstrauen.

Serbische Nationalisten schimpfen weiterhin darüber, dass serbische Künstler in ihren Werken die Rolle Serbiens in den Kriegen der 1990er Jahre (Kroatien/Bosnien/Kosovo) kritisch betrachten. Sie würden beim ehemaligen Feind „zur Schau gestellt“, sagen die Kritiker. Kroatische Nationalisten dagegen wittern serbische Propaganda. „Pseudokritische“ Kunstwerke verdeckten die großserbische Ideologie – so deren Argumentation.

Nach den Worten von Mia David will das Belgrader Kulturzentrum zeigen, wie die zeitgenössischen – vor allem – serbischen Künstler das zwanzigste Jahrhundert sehen, und wie sie die Kriege kritisch reflektieren, die in diesem Teil Europas im zwanzigsten Jahrhundert gewütet haben (der erste und der zweite Weltkrieg und die Ex –YU-Kriege in Kroatien, in Bosnien und im Kosovo).

„Deshalb wollen wir über den Krieg reden“, sagt sie, „aber man soll nicht denken, dass das Töten, die Verwüstungen, Zerstörungen, Vergewaltigungen und das allgemeine Grauen der Kriege nur eine Spezialität des Balkans sind“. Der erste und zweite Weltkrieg seien nicht auf diesen Teil des Kontinents beschränkt gewesen. Insofern sei diese Ausstellung nicht als eine Art serbisches Schuldbekenntnis gegenüber Europa zu bewerten, sondern will Europa auch den Spiegel vorhalten. „Darin kann sich Europa auch erkennen“, meint die Kuratorin aus Belgrad.

In Kroatien dagegen will man den Krieg vergessen, wie das die Video-Arbeit der beiden bosnischen Künstlerinnen zeigt. Und das zeigt auch die Publikumsresonanz. Nur einige Hundert Menschen haben die Ausstellung in Zagreb innerhalb von drei Wochen gesehen. „Es geht hier um interessante zeitgenössische Kunst“, sagt Galeristin Marina Viculin. „Politik interessiert mich nicht, und über den Krieg werden wir in unseren Ländern, auch wenn wir uns sprachlich verstehen, wahrscheinlich nach wie vor verschiedene Auffassungen haben“, glaubt sie. Ihre Kollegin Mia David sieht das etwas anders: Sie stellt sich selbst die Frage, ob sie schuld ist an Kriegsverbrechen, die jemand in ihrem Namen begeht. Und sie gibt sich selbst die Antwort: „Ja“, sagt die Serbin, „wenn ich schweige. Deshalb will ich über den Krieg reden.“

Mitarbeit: Stjepan Milcic

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