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13. Oktober 2014

KOMMENTAR: Nach der Wahl in Bosnien-Herzegowina

Demokratie kann niemand anordnen, auch nicht im Namen des Friedens. Der Friedensvertrag von Dayton verordnete dem kriegsgeschüttelten Bosnien-Herzegowina eine Zwangsjacke: Einen multiethnischen Staat, der so muslimisch, wie katholisch und orthodox ist. Für uns West-Europäer hatte diese Lösung eine sofortige Wirkung: Sie beruhigte. Denn vor 20 Jahren war der Krieg auf dem Balkan so oft in den Nachrichten, wie heute die Kämpfe in Syrien. Mindestens 100.000 Menschen kamen allein in Bosnien-Herzegowina ums Leben. In Srebrenica erschossen die Gefolgsleute des bosnisch-serbischen Generals Ratko Mladic in nur wenigen Tagen 7.000 muslimische alte, wie junge Männer. Dreieinhalb Jahre lang sorgte die Belagerung von Sarajewo fast täglich für Schlagzeilen. Die internationale Gemeinschaft bombte und verhandelte den Frieden herbei.

Der Frieden hält, Demokratie wurde installiert, entwickelt sich aber nicht. Fortschritt, Wohlstand – Fehlanzeige! Die Wirtschaft von Bosnien-Herzegowina hat den Stand von vor dem Krieg noch immer nicht erreicht, trotz ausreichender Bodenschätze, williger Arbeitskräfte und der Nähe zum europäischen Markt. Eine Nachkriegsgeneration ist herangewachsen, die nicht gefragt ist und weder Arbeit noch Anerkennung bekommt. Muslimische Bosniaken, orthodoxe Serben und katholische Kroaten leben neben – statt miteinander. Ihre nationalen Politiker haben den Staat gekapert und plündern ihn gnadenlos aus. Die Europäische Union verliert langsam die Geduld, amerikanische Diplomaten haben sie bereits verloren. Nach der Flut im Frühjahr und vor den Wahlen kritisierte die US-Botschaft das Versagen der politischen Eliten von Bosnien-Herzegowina öffentlich. Sie hätten sich auf ihre übliche Vetternwirtschaft, auf Hinterzimmer-Deals und auf das Abwälzen von Schuld konzentriert. Eine Einschätzung, die die EU teilt, der jährliche Fortschrittsbericht der Europäischen Kommission bescheinigt das. Doch werden daraus auch Konsequenzen gezogen?

Währenddessen laufen die jungen Leute weg, vor allem nach Europa. Sie fühlen sich als Europäer. Es gibt mehr Frauen mit Kopftüchern und Männer mit Bärten in Köln als in Sarajevo. Rund 200 Radikale aus Bosnien kämpfen schätzungsweise für die Terrororganisation des Islamischen Staates in Syrien oder im Irak, aus Deutschland sollen es doppelt so viele sein. Bosnien-Herzegowina ist anfällig für eine Radikalisierung, aber nicht bedroht.

Hauptproblem in Bosnien-Herzegowina ist der Staat, er funktioniert nicht und wird von den Bürgern auch nicht anerkannt. Das Friedensabkommen von Dayton hat vor knapp 20 Jahren die ethnischen Grenzen zwischen den katholischen Kroaten, den orthodoxen Serben und den muslimischen Bosniaken festgeschrieben. Ein entsprechendes Wahlrecht lässt Richtungsänderungen kaum zu. Bosnien-Herzegowina will in die Europäische Union. Nachbar Kroatien ist schon drin und Nachbar Serbien drängt mit aller Macht. Beide zeigen wieviel man erreichen kann, wenn man die nationale Karte nicht mehr spielt. Bosnien-Herzegowina muss raus aus dem Dayton-Korsett, dann könnte sich Demokratie auch entwickeln.

Kommentar von Karla Engelhard

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