„Ich schufte wie ein Pferd!“, mit solch markigen Sprüchen belustigte der Zagreber Bürgermeister Milan Bandic gerne die Öffentlichkeit. Er galt als tatkräftiger Politiker, der es immer gut verstand, die Wähler für sich zu gewinnen. Nun sitzt er für 30 Tage in Untersuchungshaft. Das entschied der Haftrichter des Zagreber Landgerichts. In einer groß angelegten Aktion hatte die kroatische Polizei vergangene Woche Bandic und 15 weitere Personen festgenommen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt in mindestens sieben Fällen und beantragte für zwölf der Verdächtigen Untersuchungshaft wegen Verdunkelungsgefahr und Beeinflussung von Zeugen.
Als Zagreb im Winter 2013 nach massiven Schneefällen im Chaos versank, kündigte Milan Bandic an: „Ich werde den Schnee auffressen und den Asphalt auflecken“. Tatsächlich war die Stadt rasch darauf von Schnee und Eis befreit. Wegen solcher Aktionen vergaßen die Zagreber wohl immer wieder die Vorwürfe von Günstlingswirtschaft bei der Vergabe von Millionen-Aufträgen der Stadt an befreundete Unternehmer. Denn so gut wie jedes öffentliche Projekt bekam schon bald das Attribut „dubios“ – seien es Springbrunnen, öffentliche WC-Anlagen oder der Bau einer Müllverbrennungsanlage. Nach fast 14 Jahren an der Macht ist die Liste vermeintlicher Affären gegen den parteiunabhängigen Politiker nun lang.
Obwohl Medien vor jeder Wahl berichteten, dass sich die Korruptionsstaatsanwaltschaft (USKOK) für die vermeintlichen Machenschaften Milan Bandics interessiere, erfolgten bis dato keine echten Aktionen der Behörden. Die Staatsanwaltschaft sagt, dass man erst jetzt genügend Beweise gesammelt habe. Dass sich die Sicht auf Korruption in Kroatien geändert hat, ist vor allem auch der immer wiederkehrenden kritischen Berichterstattung in den kroatischen Medien zu verdanken, denn viele Affären wurden erst dann ernsthaft untersucht, nachdem Journalisten sie aufgedeckt hatten.
Die kroatische Justiz hatte ihr Vorgehen gegen Korruption auf Druck der EU in den vergangenen Jahren intensiviert und 2010 mit der Verhaftung von Ex-Premier Ivo Sanader ein neues Kapitel aufgeschlagen. „Die Lokalsheriffs sind weit gefährlicher als es scheint“, warnte Dinko Cvitan im Februar dieses Jahres. Als größtes Übel machte der Oberstaatsanwalt die öffentliche Auftragsvergabe auf lokaler Ebene aus.
Bandic ist seit 2009 nicht mehr Mitglied der Sozialdemokraten. Er hat somit keine schützende politische Organisation hinter sich. Im ehemaligen Parteikollegen und Premier Zoran Milanovic hat er keinen Verbündeten. Milanovic hatte Bandic vor einem Jahr offen vorgeworfen, korrupt zu sein, weswegen Bandic ihn wegen Verleumdung verklagt hatte. Nun erscheint die Festnahme Bandics als größere Sensation als jene von Ex-Premier Ivo Sanader vor vier Jahren, der mittlerweile rechtskräftig wegen Amtsmissbrauchs verurteilt wurde.
Die wichtigsten Anschuldigungen gegen Milan Bandic und die anderen Festgenommenen sind die ungesetzliche Zuteilung von Arbeit bei der Müllabfuhr, der nicht rechtmäßige Umgang mit Grundstücken im Besitz der Stadt (z. B. billiger Verkauf von weniger wertvollen Grundstücke an Privatpersonen, die zum größten Teil mit Milan Bandic und/oder seinen Mitarbeitern in der Stadtverwaltung verbunden waren und die danach von Stadtbehörden zu Baugrundstücken erklärt wurden), die nicht transparente und unrechtmäßige Finanzierung des Präsidentschaftswahlkampfes 2009, die ungesetzlichen Beschäftigungen in der Stadtverwaltung sowie in Kommunalbetrieben und Steuerhinterziehung.
Bandic weist alle diese Vorwürfe zurück. Die Nichtregierungsorganisation „Transparency International“ kommentierte, dass die Festnahme des Zagreber Bürgermeisters „ein Epilog auf die Affären ist, die schon jahrelang in Zusammenhang mit seinem Namen genannt wurden“. Die Maßnahme der Korruptionsstaatsanwaltschaft ist Teil einer ganzen Reihe von Aktionen: Bereits vor längerem wurde Marina Lovric Merzel, Vorsitzende der Bezirks-Gespanschaft Sisak, festgenommen. Sie saß wegen zahlreicher Vorwürfe zu Amtsmissbrauch und Veruntreuung von Gemeindegeldern fünf Monate in Untersuchungshaft. Bis zum Prozessbeginn ist sie weiter Parlamentsabgeordnete. Auch Zeljko Sabo, Bürgermeister von Vukovar, musste sich wegen Bestechung zweier Stadträte vor Gericht verantworten und wurde im September in erster Instanz schuldig gesprochen. Politisch sind die beiden damit abgeschrieben.
In Sachen Bandic ist noch vieles unklar. Die Bürger der Hauptstadt sind geteilter Meinung, die Mehrheit steht jedoch nach wie vor hinter ihm. Laut einer aktuellen Umfrage sorgte seine Verhaftung bei einem Drittel der Befragten für Entrüstung. 22 Prozent äußerten ihre Zufriedenheit mit der Entwicklung, 45 Prozent zeigten sich gleichgültig. Immerhin 70 Prozent waren der Ansicht, dass politische Feinde hinter der Aktion stecken müssten. Der Bürgermeister Zagrebs ist der bisher ranghöchste Politiker in Kroatien, der jemals in einem aktiven Amt verhaftet wurde.
Seitdem nun auch „hohe Politiker“ festgesetzt werden, ändert sich jetzt auch langsam die Sichtwiese auf die alltägliche Korruption. Denn Nepotismus und Machtmissbrauch waren bisher quasi Teil der Tradition in Kroatien, noch aus den Tagen der KuK-Monarchie und aus Ex-Jugoslawien. Wenn ein Politiker, Staatsbeamter oder sonst jemand in einer höheren Position etwas „nebenbei verdiente“ oder wenn er seinen Familienangehörigen und Freunden „half“, dass sie einen Job oder öffentliche Aufträge bekamen, so wurde darüber zwar heftig geschimpft, aber das wurde als „ganz normal“ hingenommen.
Seit Jahren fordern verschiedene NGO´s und Bürgerinitiativen, bereits in den kroatischen Schulen über die negativen Auswirkungen von Korruption aufzuklären. Doch bisher geben laut Umfragen fast 60% der Eltern zu, dass sie Lehrern regelmäßig Geschenke mitbringen, damit ihre Kinder bessere Noten schreiben. Als ebenso alltäglich und unvermeidlich wird die Korruption im Krankenhaus angesehen: Wer sich gegenüber Fachärzten und Medizinpersonal „erkenntlich“ zeigt, der wird schneller in der Ambulanz behandelt, und wartet weniger lang auf notwendige Untersuchungen oder eine Operation. „Der Ehrlich und der Dumme sind Brüder“, sagt ein altes kroatisches Sprichwort, denn bisher verloren die wenigen Mutigen, die Korruption zur Anzeige brachten oft den Job oder wurden ausgegrenzt, erst nach jahrelangen Gerichtsprozessen erhielten sei dann ein Entschädigung.
Nach Angaben der kroatischen Korruptionsstaatsanwaltschaft waren der Festnahme von Milan Bandic „monatelange und komplexe“ Ermittlungen vorausgegangen. Mehr als 300 Strafanzeigen wurden während seiner Amtszeit gegen den Zagreber Bürgermeisters erstattet. Unternommen wurde bisher nichts. Mit seinen Machenschaften soll Bandic einen Schaden von knapp drei Millionen Euro verursacht haben, einige Medien berichten von bis zu 100 Millionen Euro.
Milan Bandic kam ursprünglich aus einem kleinen Dorf in Herzegowina nach Zagreb. Er arbeitete sich hoch, wurde von der Zagreber Elite nie akzeptiert und galt als Vertreter der kleinen Leute. Seine Macht kommt von unten, nicht von bürokratisierten Parteistrukturen oder aus elitären Kreisen. Er polarisiert die kroatische Öffentlichkeit seit langem. Muss Milan Bandic während des Prozesses im Gefängnis bleiben und tritt er nicht freiwillig zurücktritt, kann er kaum abgesetzt werden, bis ein rechtskräftiges Urteil existiert (falls er für schuldig erklärt wird) oder bis zu den nächsten regulären Wahlen im Frühling 2017.
Mitarbeit: Stjepan Milcic



