Stephan Ozsváth auf Dschihadisten-Suche in Novi Pazar

Esad Kundakovic ist freundlich. Er ist sofort zu einem Interview bereit. Dass wir noch ein ganzes Fernsehteam dabei haben, stört ihn auch nicht. Der Schneider aus Novi Pazar will erzählen. Er will die „Jungen“ überzeugen, nicht nach Syrien oder den Irak zu gehen, um zu sterben. So wie sein ältester Sohn Eldar. „Auf YouTube konnten sie sich die Massaker ansehen, über Facebook bekamen sie weitere Informationen“, erzählt der Schneider. „Da staut sich alles in einem und man bekommt die Idee, einfach hinzugehen und zu helfen“, versucht Esad seinen verstorbenen Sohn zu verstehen. „Er ging weg, als wir im Laden bei der Arbeit waren“, sagt der Schneider. In der Nacht meldet sich der Sohn aus Istanbul. „Wir sollten uns keine Sorgen machen“. Als er sagt, er wolle „dem Volk hier von Nutzen sein“, weiß der Vater Bescheid. Am 15. Mai 2013 stirbt Eldar, der inzwischen den Kampfnamen Abu Bera trägt, in Syrien. Eine Handgranate tötet den 27-Jährigen bei dem Versuch, Gefangene zu befreien. Im Internet feiern ihn seine Dschihadisten-Kameraden als „Märtyrer“.
Eldar besuchte eine inoffizielle Moschee, namens Furqan, in Novi Pazar, dem Zentrum des Sandschak – einer Region in Süd-Serbien, die mehrheitlich von Muslimen bewohnt wird. „Vermutlich ein Rekrutierungszentrum“, sagt die Politikerin Aida Corovic im ARD-Interview über Furqan. „Gesichert sind Verbindungen nach Bosnien und nach Wien“, sagt sie. Weitere Kämpfer sind mit dem inoffiziellen Begegnungszentrum in direkter Nachbarschaft der Residenz des Mufti in Verbindung gewesen: Mevlid Jasarevic, der Mann, der die Schüsse auf die US-Botschaft in Sarajevo abgab, und der Dschihadist Mirza Ganic, der ebenfalls in Syrien starb.
Wir treffen an diesem Tag einen jungen Mann, der in Wien in Kontakt mit Dschihadisten geriet. Seine Mutter erzählt uns – off the record – wie entsetzt sie war, als er plötzlich mit langem Bart und Salafisten-Tracht vor ihr stand. Die Politikerin Corovic half mit, ihn aus der Szene zu lösen. Ihr Engagement gegen die Islamisten machte sie zur Zielscheibe. Sie erhielt Morddrohungen. „Ich bekam eine Fotomontage – auf eine verkohlte Leiche war mein Kopf montiert“, erzählt sie. „Das zeigt, wie viel Toleranz sie gegenüber anderen Standpunkten haben“, sagt die streitbare Politikerin aus Novi Pazar.
Doch was macht die Jugendlichen aus Novi Pazar so anfällig für den Sirenen-Ruf der Dschihadisten? Sead Biberovic arbeitet für die Nichtregierungsorganisation „Urban In“, die die Zivilgesellschaft stärken soll. Die Jugendlichen hätten keine Perspektive, jeder Zweite in der Stadt ist arbeitslos, Novi Pazar ist ein Drogenumschlagplatz. Außerdem hätten die Jugendlichen die falschen Vorbilder: Dealer, Diebe, Betrüger – auch manchen Politiker, die krumme Dinge drehten, und damit durch kämen. „Das macht sie anfällig für radikale Islamisten und Dealer“, sagt er. „Religion hat Heroin ersetzt“.




