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5. Dezember 2014

Ungarn: Regierung unter Druck

Über den Unmut der Ungarn berichtet Stephan Ozsvath

„Wir lassen es nicht zu“ riefen die Demonstranten – wieder sind Tausende in Budapest auf die Straße gegangen, um gegen die Regierung Orbán zu demonstrieren. „Wir haben genug von der Korruption, von der Regierung“, sagen zwei Demonstrantinnen.
Mitglieder der Regierungspartei Fidesz profitieren von einem Bodengesetz, ihnen wurden Tabakverkaufslizenzen zugeschanzt, engste Freunde Orbáns werden reich – aus Klempnern werden Multimillionäre, die USA haben Mitarbeiter der Steuerbehörde – inklusive Chefin – auf eine Schwarze Liste gesetzt – sie dürfen nicht mehr in die USA einreisen. Der Vorwurf: Sie hätten Mehrwertsteuer-Karrusselle organisiert. „Etwas hat sich in diesem Herbst verändert, sagt Gábor Vágo, einer der Organisatoren der gestrigen Demonstration. „Zehntausende gehen mutig auf die Straße, und lassen sich nicht unterdrücken. Viktor Orbán – wir wollen unser Land zurück.“
Drei Wahlen hat die Fidesz-geführte Regierung Orbán in diesem Jahr gewonnen – im Parlament, in Europa, den ungarischen Kommunen. Aber jetzt sinkt der Stern – auch in den Umfragen. Um 12 Prozentpunkte stürzte die Regierungspartei innerhalb eines Monats ab. Auch treue Gefolgsleute Viktor Orbáns wenden sich ab, sagt der Meinungsforscher Endre Sík. „Es gibt so eine Art „natürliche“ Arbeitsteilung: Die Jungen demonstrieren. Die Alten wiederum, die sonst zuverlässig wählen gegangen sind, sagen jetzt: Fidesz gefällt uns nicht mehr so.“
Die Oppositionsparteien – links wie rechtsextrem – profitieren von dieser Stimmung allerdings kaum. Marco Schicker, Chefredakteur des in Wien produzierten Online-Mediums „Pester Lloyd“ erklärt das mit dem Fehler einer geeigneten demokratischen Opposition. „Und die Leute merken jetzt, dass Viktor Orbán die erneute Zweidrittelmehrheit für eine Machtzementierung seines Zirkels nutzt“.
Der republikanische US-Senator John McCain warf dem ungarischen Premier vor, den Rechtsstaat zu beschädigen, Orbán sei ein „neofaschistischer Diktator“. Und die Regierung ? Sie antwortet mit der üblichen Rhetorik. In der Freitags-Sendung des staatlichen Radios sagte Premier Orbán, um all diese Fragen habe man mit den europäischen Institutionen gestritten. „Das ist Vergangenheit“. Der Vorwurf an die Chefin der Finanzbehörde allerdings sei ein schwerwiegender. Das könne aber die ungarische Justiz klären.
Wie ernst die Justiz es mit Ermittlungen gegen Korruption meint, zeigt der Fall des ehemaligen Steuerfahnders András Horváth. Er machte vor einem Jahr die Mehrwertsteuer-Karrusselle öffentlich. Ermittlungen verliefen im Sande. Er verlor seinen Job. Mittlerweile hat er eine Anti-Korruptions-Organisation gegründet.

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