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24. August 2015

Winnetou Neuverfilmung: Von der steten Wahrheit des Gefühls

Eine erbarmungslose Präriesonne brennt in diesen Tagen auf unser kroatisches Dorf, paralysiert die Einheimischen und jene Durchreisenden, die in dem Hotel am Ortsrand vergeblich nach Abkühlung suchen. Gelegentlich wirbelt ein heißer Wüstenwind die Papiere der Rezeption durcheinander, Tischdecken flattern über den Hof, Ventilatoren drehen sich in allen Zimmern und legen mit ihrem gleichmäßigen Surren eine träge Müdigkeit über die hier Gestrandeten, eine existentielle Schläfrigkeit, die weder der Fund einer unbekannten Goldmine noch das Auftauchen eines der hier ansässigen Braunbären durchbrechen könnte. Die Pferde auf der Wiese unterhalb des Hotels werden nur in den frühen Morgenstunden ausgeritten und dann wieder am späten Abend. Unten im Ort wirbelt Sand und Hitze auf, taucht die aufgerissenen Straßen in staubig flirrende Szenerien, in denen man – starrt man nur lange genug hinein –  einen einsamen Reiter am Horizont auszumachen glaubt, der unaufhaltsam auf einen zu galoppiert.

Pierre Brice als Apachen-Häuptling Winnetou neben Lex Barker als sein Blutsbruder Old Shatterhand in einer Szene des Karl-May-Films "Im Tal des Todes" Foto: picture alliance/dpa
Pierre Brice als Apachen-Häuptling Winnetou neben Lex Barker als sein Blutsbruder Old Shatterhand in einer Szene des Karl-May-Films „Im Tal des Todes“ Foto: picture alliance/dpa

Dass der Wilde Westen genau hier in Kroatien liegt, in Gorski Kotar, in den Ebenen und Schluchten der Nationalparks von Plitvice, Paklenica oder Krka, das wusste schon das Filmteam, das in den Sechziger Jahren hier die legendären Winnetou-Filme drehte, mit denen fortan jeder Deutsche aufwachsen würde und in dessen Geschichtsschreibung der Franzose Pierre Brice in alle Ewigkeit der indianischste aller Indianer sein sollte, der Inbegriff des unbändigen, schönen, aber doch ehrhaften und guten Wilden. In diesen Tagen wird an den Originalschauplätzen ein Remake produziert, oder besser gesagt, eine Neuverfilmung der Karl-May-Vorlage, die nichts Geringeres vor hat, als sich erneut mit derselben Geschichte, aber anderen Bildern, neuen Darstellern und ausgefeilter Technik in die Köpfe der deutschen Fernsehzuschauer einzuschreiben. Und da alles, was in Küstennähe passiert, gleich zum touristischen Angebot wird, überlegen wir mit Gästen bald einmal bei den Dreharbeiten vorbeizuschauen und einen Blick auf den neuen Winnetou zu werfen. Das Vorhaben wäre möglicherweise im Tagesgeschäft verloren gegangen, hätte nicht gestern ein deutscher Gast eine „Bild am Sonntag“ auf der Terrasse liegen gelassen. Dort wird – exklusiv – der Name und das erste Bild des Winnetou-Darstellers veröffentlicht. Nik Xhelilaj heißt er, als Schauspieler im deutschsprachigen Raum bekannt als Hauptdarsteller des deutsch-albanischen Spielfilms „Der Albaner“ (2010). Und Nik Xhelilaj ist Albaner. Er sieht wahnsinnig gut aus, hat genau die sehnige, exotische und ästhetisch-kraftvolle Eleganz, die es braucht, um als ewiger Winnetou die Filmgeschichte neu zu schreiben. Und Karl May hatte die Latte in seinen Bücher über diesen berühmten, fiktiven Indianerhäuptling hoch gehängt:

Einen Bart trug er nicht; in dieser Beziehung war er ganz Indianer. Darum war der sanfte, liebreich milde und doch so energische Schwung seiner Lippen stets zu sehen, dieser halbvollen, ich möchte sagen, küßlichen Lippen, welche der süßesten Schmeicheltöne ebenso wie der furchterweckendsten Donnerlaute, der erquickendsten Anerkennung gleich so wie der schneidendsten Ironie fähig waren. (…)Ich habe nie einen besseren, überzeugenderen, hinreißenderen Redner gehört als ihn und kenne nicht einen einzigen Fall, daß es einem Menschen möglich gewesen wäre, der Beredsamkeit des großen, unvergleichlichen Apatschen zu widerstehen. (…) Das Schönste an ihm aber waren seine Augen, diese dunklen, sammetartigen Augen, in denen, je nach der Veranlassung, eine ganze Welt der Liebe, der Güte, der Dankbarkeit, des Mitleides, der Besorgnis, aber auch der Verachtung liegen konnte. Solch‘ ehrliche, treue, lautere Augen, in welchen beim Zorne heilige Flammen loderten oder aus denen das Mißfallen vernichtende Blitze schleuderte, konnte nur ein Mensch haben, der eine solche Reinheit der Seele, Aufrichtigkeit des Herzens, Unwandelbarkeit des Charakters, und stete Wahrheit des Gefühles besaß wie Winnetou.“ (Karl May, Weihnacht!, 1897, S. 87 [278])

Ich bin selbst mit den Winnetoufilmen groß geworden, in meiner Kindheit gibt es keinen schöneren Film- und Buchhelden als Winnetou. Sein Filmtod im dritten Teil ist ein bis heute unverarbeitetes Trauma meiner Jugend. Wer einen neuen Winnetou diesen Kalibers schaffen will, muss mich (und wer weiß wie viele Zuschauer) erneut in diese Welt schicken, muss mich aufs Sofa eines Hypnotiseurs versetzen, der mich die Sache nochmals mit derselben Kraft durchleben lässt, der ein neues Gesicht in meine Erinnerung prägt, einen neuen und doch vertrauten Winnetou, eine neue Begeisterung und eine neue Trauer. Denn kaum eine andere Filmfigur verbindet in so großartiger Weise, was Deutsche für schön, rechtschaffen und mutig halten. Winnetou ist im tiefsten Innern, genau wie sein deutscher Erfinder, ein Deutscher.
Dass der ausgewählte Schauspieler all diese Eigenschaften mitbringen wird, dass man sich genau darum maximal gekümmert hat, das glaube ich sofort, denn mit ihm steht und fällt ein solches Projekt, da kann der Film noch so gut sein, Bilder, Technik, alles erste Sahne, aber das Wichtigste sind in einem solchen Fall  die Darsteller.

Die beste Nachricht dieses Sommers ist für mich jedoch die von der albanischen Herkunft des Winnetou-Darstellers. Albanien taucht nämlich in den letzten Monaten in der deutschen Presse hauptsächlich in einem anderen Zusammenhang auf. Ein großer Teil der Flüchtlinge, die sich seit geraumer Zeit über die sogenannte „Balkan-Route“ durch Serbien und Ungarn in den Westen aufmachen, sind Albaner. In einigen Ländern wehrt man sich durch strenge Grenzkontrollen, man baut gar Mauern und Drahtzäune, eine Maßnahme, die man noch vor kurzem in Europa für unmöglich gehalten hätte. Auch in Deutschland heizt die Frage, was mit diesen Flüchtlingen anzufangen sei, heftige Diskussionen an. Und nicht nur das: Vorurteile werden geschürt, Menschen bedroht, Flüchtlingsheime in Brand gesteckt. Da werden Stimmen laut, und nicht nur heimlich und anonym, sondern klar und deutlich, bisweilen unter großem Applaus, die fordern, man möge das Land dicht machen, „man sei nicht Sozialamt für alle“ (Seehofer), und diese Flüchtlinge dorthin schicken, wo sie hergekommen sind. Im Sommerloch der Medien verzettelt man sich in Auseinandersetzungen über die Frage, was sichere und was unsichere Herkunftsländer seien, und langsam aber sicher, so scheint es mir zumindest aus meiner kroatischen Ferne, wird Ausländerfeindlichkeit wieder salonfähig. Und da kommt die Nachricht, dass ein neuer Winnetou gefunden ist, gerade rechtzeitig. Bald werden wir noch mehr Fotografien von ihm sehen und wir werden begreifen, dass es tatsächlich die Fleischwerdung der Mayschen Literaturgestalt ist und dabei werden wir immer wissen, dass er Albaner ist. Das ist wunderbar.

„Dieser herrliche Mann befand sich jetzt, hoch zu Pferde, hier im Zimmer, und aller Augen hingen mit Staunen und Bewunderung an seinem gebieterischen Angesichte und seiner tadellosen Gestalt, welche in vornehmer Haltung halb auf dem Sattel, halb in den mit Klapperschlangenzähnen verzierten Bügeln ruhte. Von seinen breiten, kräftigen Schultern hing sein, gleich dem meinigen von seiner schönen Schwester Nscho-tschi gefertigter Lasso in Schlingen über Brust und Rücken bis auf die Hüften herab, wo er um die schmale, elastische Taille eine buntschillernde Santillodecke als Shawl gewunden hatte, welcher Messer, Revolver und alle die Gegenstände enthielt, die der Westmann in oder an seinem Gürtel zu tragen pflegt. Auf seinem Rücken hing ein doppelläufiges, an den Holzteilen mit silbernen Nägeln beschlagenes Gewehr. Das war die weitberühmte Silberbüchse, deren Kugeln nie ihr Ziel verfehlten. (Karl May, „Weihnacht!“. 1897, S. 87 [278]))

An der Besetzung von Winnetous Freund und Gefährten Old Shatterhand durch Wotan Wilke Möring kann man erkennen, dass man die außergewöhnliche Offenheit der Figur betonen möchte, dass er, die Leistung des „Westmannes“, besonders auf die indianischen Gepflogenheiten seines Freundes einzugehen, schon herausarbeiten wird. Bei einem Wotan-Wilke-Möring-Shatterhand kann man, denke ich, erwarten,  dass er das Leben und Denken der Apatschen begreifen, erlernen und mit seinem eigenen westlichen Wissen und Tun zusammenzubringen suche.

Ich wünsche Nik Xhelilaj als Winnetou und seinem deutschen Publikum wirklich von Herzen, dass er als unsterblichster aller unsterblichen Apatschen in die Filmgeschichte eingeht, denn wenn es möglich ist, dass dieser deutsche Winnetou mit all seinen indianischen Eigenschaften und dieser  seiner „Wahrheit des Gefühls“ auch gleichzeitig Albaner sein kann, dann ist in diesem Europa noch nicht alles verloren.

Anne-Kathrin Godec ist Schriftstellerin, Übersetzerin und Herausgeberin mehrerer philosophischer und literarischer Anthologien. Sie schreibt Literaturkritiken und führt mit ihrem Mann ein Literaturhotel im Norden Kroatiens, in dem Literaturveranstaltungen, Lesungen, Workshops und Konzerte stattfinden. Ihr Hoteltagebuch, bei dem sie Anregungen, Beobachtungen und Erlebnisse ihrer Gäste (und die dadurch entstehende Bereicherung des eigenen Erfahrungsraumes) im Lichte der Literatur behandelt, führt sie in kroatischer Sprache auf den Internetseiten der Literaturzeitschrift „Ajfelov most“ www.jergovic.com/ajfelov_most/

Kommentare (1)

Jarka Dvorakova am

It is a bad idea to remake Winnetou so soon. If you try to manufacture a gem, you end up with a fake stone. Xhelilaj is a fine young man, but nobody will ever be able to have the same inner beauty and charisma of Brice in this role. Pierre will always be my only Winnetou for ever. I will not see the remake, because I don’t want to spoil the memories of the gem.

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