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Ungarn 1956
Erinnerungen meines Vaters an „seinen“ Aufstand
Dass mein Vater am Aufstand 1956 in Ungarn teilgenommen hatte, das wusste ich. Denn deshalb war er ja nach Deutschland gekommen. Kürzlich habe ich in alten Papieren ein vergilbtes Dokument gefunden, von der „Bundesdienststelle zur Anerkennung ausländischer Flüchtlinge“. Es stammt aus dem Jahr 1958, ist auf den Namen meines Vaters ausgestellt. Mein Vater, der Flüchtling. Mein Vater ist vor einem Jahr gestorben, den 60. Jahrestag des Aufstandes kann er nicht mehr erleben. Zum Glück bin ich vor zehn Jahren mit ihm durch Budapest gefahren, an die Orte „seines“ Freiheitskampfes 1956. Ich habe aufgenommen, was er mir damals erzählt hat.
Der 23.Oktober 1956 war ein sonniger Tag, erinnerte sich mein Vater. Er studiert damals in Budapest Medizin. Zusammen mit Tausenden Studenten und Arbeitern zieht er zum Petöfi-Denkmal, zum Denkmal des polnischen Generals Bem, zum Parlament, später auch vor das Gebäude des Ungarischen Radios. „Die Leute jubelten aus den Fenstern“, erinnerte er sich, als aus den ungarischen Flaggen die kommunistischen Symbole ausgeschnitten wurden: Sichel, Hammer, Ähre und Sowjetstern. Es wurde zum Symbol dieses Aufstands. „Wir wollten das Regime stürzen“, sagte er.
Viele Menschen haben sich am Abend des 23.Oktober vor dem Gebäude des Ungarischen Radios in der Sándor-Bródy-Straße versammelt. Das Gebäude schützt der verhasste Geheimdienst AVH, das Gelände ist von Tränengas erfüllt. Die Aufständischen wollen ihre 16 Punkte im Rundfunk verlesen, unter anderem Pressefreiheit und freie Wahlen. Dann kommt ein Krankenwagen. „Da waren Männer mit ihren ´Gitarren´ – Kalaschnikovs – und schossen in die Menge“, erzählte mein Vater. Bis Mitternacht gibt es 30 Tote.
Da mein Vater ein Praktikum in der Chirurgie des nahegelegenen St.Stephan-Krankenhauses macht, sieht er in den kommenden Tagen die verletzten Aufständischen. „Höchstens 15-Jährige mit Bauchschuss, die krepierten“. Sie stellen sich mit Molotov-Cocktails russischen Panzern entgegen. Am 4. November greifen die Sowjets – nach kurzem Rückzug – erneut die ungarische Hauptstadt an, Ministerpräsident Imre Nagy verkündet es im Radio. Schon bald ist der Aufstand niedergeschlagen. Mehr als 200 Menschen werden in der Folge hingerichtet oder zu langen Gefängnisstrafen verurteilt. Mein Vater ist einer von 180.000 Ungarn, die nach Österreich fliehen. Er landet letztlich in Bonn. Mehrfach werden meine Tanten deshalb vom Geheimdienst verhört. Über den Aufstand sagte mein Vater im Rückblick: „Es war eine Stimmung wie die aufgehende Sonne – schön begonnen, tragisch geendet“.
Es war eine Stimmung wie die aufgehende Sonne, es hat schön begonnen - und endete so tragisch
András Ozsváth