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In den serbischen Medien erzählen Einheimische Anekdoten über Fremde, die sich bei Dunkelheit hierher verirrt haben. Foto: BR | Dejan Stefanovic

Für Lebende und Tote
Serbisches Dorf leistet sich eigenartigen Friedhof

Smoljinac, ein Gastarbeiterdorf, etwa 100 Kilometer südöstlich der serbischen Hauptstadt Belgrad, dem serbische Medien immer wieder mal besondere Aufmerksamkeit schenken. Smoljinac ist bekannt wegen seiner luxuriösen Häuser, regelrechte Paläste und Burgen fraglichen Geschmacks, in die serbische Gastarbeiter, bekannt als leidenschaftlichen Bauherren, Millionen aus Österreich, Deutschland oder der Schweiz investiert haben. Gebaut wurden und werden sie für die Zeit nach der ‚Arbeit in der Fremde‘, aber für die meisten nimmt der Lauf des Lebens einen anderen Gang und immer weniger kehren in ihr Heimatdorf zurück! Viele dieser ‚Prachtbauten‘ werden kaum genutzt, erinnern als stumme Mahnmale an geplatzte Träume und versinnbildlichen den Begriff „Totes Kapital“.

 

Mit den Jahren entwickelte sich noch ein ‚verwandter‘ Trend unter den Dorfbewohnern: der Bau von kleinen Häuschen und Bungalows, die aber einen ganz besonderen Zweck erfüllen. „Als uns Verwandte aus einem anderen Teil Serbiens zum ersten Mal besuchten, wollte ich mir einen kleinen Scherz erlauben und ihnen unsere neue, nette Bungalowsiedlung am Dorfrand zeigen. Als es dunkel wurde, führte ich sie dorthin und sie waren auf den ersten Blick von den netten Häuschen ziemlich entzückt. Die Begeisterung verschwand aber schnell, als sie merkten, dass diese netten Häuschen eigentlich den Friedhof von Smoljinac bilden. Als wäre man gar nicht auf einem Friedhof“, erzählt mir schmunzelnd eine junge Frau im Dorfzentrum.

Die serbische Presse zieht genüsslich und verständnislos über den skurrilen Brauch her: ‚Wohnanlage für die Toten‘, ‚Smoljinac, das Dorf der Toten‘, ‚Für wen werden die Häuser auf den Gräbern gebaut?‘, ‚Fernseher für den Verstorbenen‘, ‚Einkaufszentrum für tote Seelen‘, ‚Luxus für die Verstorbenen‘, lauteten die ironischen Überschriften in den serbischen Medien zu den Gruften, die in Form von kleinen Häuschen errichtet wurden. „Ja, wir übertreiben damit alle ein bisschen“, sagt die 54-jährige Snezana fast rechtfertigend, als ich sie darauf anspreche, dass ihr Dorf deswegen so bekannt geworden ist, „aber die Medien mit ihren Geschichten über den angeblichen Luxus auch“, fügt sie hinzu. Nein, dies sei kein alter Brauch, sondern etwas, was mehr aus der Not entstanden sei. Irgendwann mal Ende der 60-er Jahre kam jemand auf die Idee – die Häuschen sollten die Familienangehörigen vor Witterungseinflüssen schützen, wenn sie die Gräber besuchen wollen. Man könne sich dort hinsetzen und in Ruhe etwas Zeit mit den Verstorbenen verbringen, erklärt mir Snezana.

In den darauffolgenden Jahren und Jahrzehnten wurde aus dieser pragmatischen Idee immer mehr und sie weitete sich auch auf andere Dörfer in der Umgebung aus. Das alles habe auch mit dem Verständnis vom Tod und dem Leben nach dem Tod zu tun, erklärt mir eine jüngere Dorfbewohnerin, man wolle sich bei seinen Nächsten auch im Jenseits für alles revanchieren, was sie zu Lebzeiten gemacht hätten. Dass sie auch im Himmel etwas von dem haben, was sie auf Erden hatten.

Je tragischer der Tod, je jünger das verlorene Leben desto größer der Wunsch nach entsprechender öffentlicher Würdigung. Und wenn der Nachbar seine Verblichenen ‚fürstlich‘ beerdigt, könne man seinen eigenen Verstorbenen nicht einfach so, ärmlich, unter die Erde bringen. „Das haben sie nicht verdient“, sagt die etwa 40-jährige zu der Kritik, dass es sich nur um das Dorfprestige unter den reichen Gastarbeitern handle. Snezana selbst traf ein schrecklicher Schicksalsschlag, als 1992 ihr 8-jähriger Sohn starb. „Er liegt auch am Friedhof von Smoljinac begraben, in seinem eher bescheidenen ewigen Häuschen“, sagt sie mit Tränen in den Augen.

 

Ich mache mich auf den Weg zum Friedhof. Obwohl ich ja nun auf die Begegnung vorbereitet war, bin ich trotzdem fast überrascht, als ich gleich nach den letzten Dorfhäusern auf die ‚Stadt der Toten‘ stoße. Zu stark ist das, im Unterbewusstsein eingeprägte, Bild eines ’normalen‘ Friedhofs. Es ist klirrend kalt, keine Seele ist zu sehen. Geordnete Wege gibt es nicht, nur eine Art Feldweg trennt grob den alten Teil vom neuen Teil des Friedhofs. Ich erinnere mich an Snezanas Worte, dass es diesen Brauch früher nicht gegeben hatte – davon zeugen die ’normalen‘  Gräber im älteren Teil des Friedhofs,  von denen es eigentlich mehr gibt. Der ’neue Trend‘ ist offenbar die Erfindung der Gastarbeiter. Das mulmige Gefühl, dass ich bei Friedhofs-Besuchen sonst immer habe, ist nicht aufgekommen. Ich bewege mich zwischen den Häuschen wie durch Gassen, um die 70 sollen es sein, mein Blick schweift neugierig umher und zum ersten Mal erlebe ich einen Friedhof als einen Ort des Verweilens. Die Häuschen sind sehr unterschiedlich – manche ganz schlicht, andere mit protzigen Säulen, die an kleine Tempel erinnern, bis zu jenen, die kleine Kirchen darstellen.

Ich stoße auch auf das Grabhäuschen von Snezanas Sohn. Es ist weder ganz schlicht noch protzig. Die Ausstattung des Inneren zeugt von großer Trauer über das jung verlorene Leben.

Zurück im Dorf versuche ich den örtlichen orthodoxen Priester zu finden. Die Kirche aus dem 19. Jahrhundert und das Pfarrhaus sind frisch renoviert, der Hof, ein kleiner Park, ist bestens gepflegt. Er ist unterwegs und so kann ich ihn nur kurz telefonisch sprechen. Was er über die Bräuche seiner Gläubigen denke, wolle er nicht sagen. Ich solle verstehen, er sei schließlich selbst im Dorf geboren, erklärt er kurz und knapp. Ich verstehe – ‚beiß nicht die Hand, die dich füttert‘, denke ich mir. Nach statistischen Angaben hat Smoljinac immer weniger Einwohner, besonders jüngere zieht es weg. Nur der Friedhof wächst. So oder so. Im Tod sind wir alle gleich, sagt man.

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Kommentare (1)

Helena am

Das orthodoxe Dorf ist einzigartig, wobei das Konzept mit dem Friedhof und dem Priester habe ich noch nie gesehen. Für Einwohner ist bestimmt die Kirche da sehr wichtig. Danke für die Bilder und Geschichte des serbischen Dorfes.

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