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Mit ihrer Arbeit versucht Maria Sabowa, mehr Bulgaren den Weg in die Kirche zu zeigen. Foto: BR | Ekaterina Popova

Die 86-jährige Maria Sabowa trägt die Musik im Herzen
Die Glöcknerin der Newski-Kathedrale in Sofia

Sonntagmorgen, kurz nach 8.30 Uhr. Maria Sabowa verbeugt sich vor der Ikone der heiligen Mutter Gottes, bekreuzigt sich, besprengt sich mit etwas Weihwasser und zündet eine Kerze an. Erst nach diesem Ritual erklimmt die 86-Jährige die 200 Stufen zu ihrem Arbeitsplatz – dem 53-Meter-hohen Glockenturm der Sofioter Alexander-Newski-Kathedrale. Unterwegs macht sie keinen einzigen Stopp, verliert nicht den Atem, stößt nicht mal einen Seufzer vor Anstrengung aus.

„Ich habe Kraft für Fünf, denn ich habe in meiner Jugend Rudersport trainiert“, lächelt die Glöcknerin der Newski-Kathedrale. Dass sie so fit ist, liegt bestimmt auch an der langjährigen Übung in der Kirche: Seit 1982 besteigt Maria Sabowa den Glockenturm mehrere Male in der Woche. Zuerst als Helferin des damaligen Glöckners und seit dem 1. Februar 1985 dann als Hauptverantwortliche für das tägliche Glockenspiel des größten Gotteshauses in Bulgarien. In den letzten Jahren arbeitet sie nur am Wochenende und an den kirchlichen Feiertagen und hat inzwischen selber zwei Helferinnen, die die beiden größten Glocken läuten, jeweils 11,5 und 6 Tonnen schwer.

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Die 86-jährige Glöcknerin von Sofia -Maria Sabowa- trägt die Musik im Herzen

Kamera: Ekaterina Popova

Schnitt: Dominik Gersting

Die restlichen 10 Glocken (insgesamt fast 6 Tonnen) bedient Maria Sabowa immer noch allein. Sie läutet sie nicht, sondern spielt mit ihren beiden Händen und dem rechten Fuß richtig Musik auf ihnen. Das Glockenspiel dauert 20 Minuten lang, aber bei besonderen Anlässen können es auch schon mal drei Stunden werden. Und das bei jedem Wetter, egal ob oben im Glockenturm klirrende Kälte von minus 29 Grad herrscht oder im Sommer brütende Hitze von 40 Grad und mehr. Die alte Frau spielt immer noch mit Leib und Seele, denn das Glockenspiel bringe sie jedes Mal dem lieben Gott ein Stück näher, erklärt sie.

„Um so zu arbeiten, muss man ein sehr gesundes Herz haben, einen festen Glauben und viel Energie“, sagt Maria Sabowa. Aus den Glocken soll nicht einfach Lärm, sondern eine Melodie herauskommen. Deshalb hat die studierte Mathematikerin jede Bewegung kalkuliert: Sie weiß ganz genau, wie viele Male, wie stark und in welcher Reihenfolge sie jede Glocke läuten muss, damit Harmonie entsteht. „Mit dem linken Arm spiele ich 5 Glocken, mit dem rechten läute ich 4 kleinere und mit dem rechten Fuß bediene ich die Zehnte“, erklärt sie das komplizierte Zusammenspiel.

Jedes Mal, wenn Maria Sabowa die 12 Glocken der Alexander-Newski-Kathedrale in Sofia läutet, fühlt sie sich dem lieben Gott ein Stück näher. Das Glockenspiel dauert 20 Minuten. Maria Sabowa macht dies schon seit 31 Jahren, immer mit viel Herzblut. Foto: BR | Ekaterina Popova
Jedes Mal, wenn Maria Sabowa die 12 Glocken der Alexander-Newski-Kathedrale in Sofia läutet, fühlt sie sich dem lieben Gott ein Stück näher. Das Glockenspiel dauert 20 Minuten. Maria Sabowa macht dies schon seit 31 Jahren, immer mit viel Herzblut. Foto: BR | Ekaterina Popova

Die Kirche ist für Maria Sabowa schon seit 1943 ihr zweites Zuhause. Die damals 14-jährige Schülerin am Französischen College in Plovdiv hat als Chorsängerin in der dortigen Kirche angefangen. Heute ist Sabowa, die im Mai ihren 87. Geburtstag feiern wird, mit Abstand die Älteste im Chor der Newski-Kathedrale. Ihre Stimme klingt aber nach wie vor klar und stark wie vor 73 Jahren.

In den 1950er Jahren wurde sie wegen ihrer Kirchentätigkeit aus dem Jugendverband der kommunistischen Partei ausgeschlossen, durfte lange Jahre nicht studieren, schon gar nicht Medizin oder Stomatologie, wie sie sich wünschte. Schließlich wurde Maria zu einem Mathematikstudium zugelassen und arbeitete dann 36 Jahre lang als Lehrerin in Bulgarien und zwei Jahre in Tunesien. Den Fachwechsel bereut sie nicht: „Die Mathematik ist Gymnastik fürs Gehirn. Ein Mathematiker verdummt nicht so leicht, denn das Gehirn arbeitet ständig. Außerdem haben Mathematik und Musik vieles gemeinsam – ohne Denken geht es bei beiden nicht“, argumentiert die Glöcknerin.

Für Maria Sabowa ist die Alexander-Newski-Kathedrale ein zweites Zuhause geworden. Dort oben im Glockenturm sind die alltäglichen Sorgen für die 86-jährige Maria Sabowa nebensächlich. Foto: BR | Karin Straka
Für Maria Sabowa ist die Alexander-Newski-Kathedrale ein zweites Zuhause geworden. Dort oben im Glockenturm sind die alltäglichen Sorgen für die 86-jährige Maria Sabowa nebensächlich. Foto: BR | Karin Straka

Die Musik kommt bei Maria Sabowa aus dem Herzen, egal ob sie die Glocken läutet oder im Chor singt. Dadurch feiert sie ihre Liebe zu Gott und bekundet ihre Dankbarkeit, dass er sie mit Gesundheit, Optimismus und einer großen Familie gesegnet hat. Die Glöcknerin hat drei Töchter, 5 Enkel und 5 Urenkel. Traurig ist sie nur ein wenig, dass viele von ihnen in ganz Europa verstreut sind: in Dänemark, Spanien, Schottland. Sie betet für ihre Liebsten jedes Mal, wenn sie die Glocken läutet, wie auch für alle ihre Landsleute, die „all die Armut und Verzweiflung, die nun auf sie zukommt, nicht verdient haben“. Maria Sabowa hofft sehr, dass ihr Glockenspiel mehr Bulgaren den Weg in die Kirche und zu Gott weisen wird. „Denn ein Mensch ohne Glauben ist wie ein Kind ohne Eltern“, sagt sie immer.

Mit 86 Jahren ist Maria Sabowa die älteste Sängerin im Kirchenchor. Ihre Stimme ist aber immer noch klar und stark. Foto: BR | Ekaterina Popova
Mit 86 Jahren ist Maria Sabowa die älteste Sängerin im Kirchenchor. Ihre Stimme ist aber immer noch klar und stark. Foto: BR | Ekaterina Popova
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